Einführung

von

Dr. Dieter Gembicki, Genf

Betrachtung zum Schaffen

von

Friedrich Julius Scherff

1920 -2012
Atelier-Scherff

Das zeichnerische und malerische Werk des Malers Friedrich Julius Scherff lebt aus der Gestik, genauer gesagt, es drängt zum Ausdruck. Das mag denjenigen kaum verwundern, der weiß, dass es in seinem früheren Werk einige expressionistische Bilder gibt. Dieses Charakteristikum, ‘Ausdrucksmalerei‘ zu sein, ist schließlich eine Konstante in der Entwicklung der Deutschen Kunst, denn die barocke Spätgotik spiegelt sich in der Romantik, so wie der Expressionismus frühere Tendenzen aufnimmt und seinerseits die Nachkriegskunst befruchtet. Es genügt, an den Tachismus und die „Neuen Wilden“ zu erinnern.

Dennoch bedeutet diese Feststellung weder klassifizieren noch schubladisieren. Ein Kunstwerk triumphiert noch immer über seinen Begriff, sei er auch noch so ideal oder glücklich getroffen. Diese Malerei der expressiven Geste, wenn wir sie einmal so bezeichnen wollen, ist schon deshalb mehr als eine modische Attitüde, weil sie schon sehr lange in diesem Werk angelegt ist. Man muss deshalb sehr lange sagen, weil es in unserer schnelllebigen und konsumorientierten Zeit eine Ausnahme ist, wenn ein Künstler für die Dauer einer Generation mit den gleichen Formproblemen ringt. Vergleichbar den Jahresringen eines (gesunden) Baumes ist hier eine Sicherheit des Duktus erworben, der am ehesten mit der chinesischen Kalligraphie, einer hohen Kunst bis heute, verglichen werden kann.

Ein Vergleich der Werke zeigt uns die Beharrlichkeit, mit der künstlerisches Wollen um die Frage kreist, welche Technik die innere Bildvorstellung zu realisieren gestattet. Diese Suche schließt z.B. die Illustration von literarischen, mythologischen und anderen Themen aus. Umgekehrt bedrängen den Künstler die Gestaltungsprobleme: das Verhältnis von innen und außen, die Beziehung einer Figur zum Raum. Ob es sich um Vegetabiles oder Chiffren handelt, jedesmal geht es, technisch gesehen, darum, wie eine innere Spannung entsteht, wie dieses neue „Objekt“, genannt Bild, Malerei, ein Eigenleben entfalten kann.

Eine flüchtige Einteilung, wie sie sich dem Betrachter vielleicht auf den ersten Blick aufdrängen könnte, nämlich mit Hilfe des Gegensatzes abstrakt/konkret (oder realistisch), würde die Intentionen des Künstlers, aber auch die Aussage der Bilder verfehlen.

Mir scheint ein anderes wichtig. Nicht der Grad einer wie immer gesehenen Abstraktion ist entscheidend, sondern der allen Werken gemeinsame Ausgangspunkt, die allen Bildern zugrunde liegende Welterfahrung.  Wir begegnen den Landschaften, die alle Sinne in sich hinein gesogen haben, aber auch mittelbaren Vorstellungen (im Sinne von Bildern) sowie den Nachtseiten mit (Alp-)Träumen. Die Fotografie muss hier versagen, handelt es sich doch um Schöpfungen, die Abbildung höchstens im Sinne von Verdichtung sind, immer in der Sprache der malerischen Formen, auf das Wesentliche, die Essenz zielen.

In vielen Bildern steht das Problem der Figur im Mittelpunkt. Die Figur, womit Einzelfigur und Gruppe gemeint sind, ist letztlich eine Chiffre des Mensch-Seins. Von daher wird die Herausforderung der Figurengruppe verständlich, denn die zwischenmenschlichen Beziehungen – in einer Fülle von Schattierungen – bestimmen den Ort des Einzelnen im weiten Feld zwischen Menschlichkeit und Barbarei.

Ist nicht auch in der Philosophie dem Selbstbewusstsein und Optimismus von Aufklärung und Positivismus die heutige Haltung gewichen, in der alle Werte, also auch Mensch und Welt, in Frage gestellt werden? Diese Brüchigkeit der Strukturen, eine solche Geworfenheit auf die ‚condition humaine‘, ist sie nicht ein Merkmal von Theater und Literatur der Nachkriegszeit? Zugegeben, einigen dieser Figurenbilder eignet eine erstaunliche Nähe zum Theater, ist doch die Geste häufig ‚barock‘ im Duktus. Viele Ängste unserer Zeit werden hier laut – vielmehr vernehmbar –, doch sicher nicht laut in dem Sinne, dass der Schrecken, der Ekel oder Ur-Ängste ihr Gegenüber, die Welt, den Betrachter anschreien oder anklagen.

Die Herausforderung besteht im Gegenteil darin, dass sich der Betrachter dieser Gestik des Schreckens – die praktisch nie eine Ästhetik des schönen Scheins sein will – selber stellen muss.

Das Wort, die Erläuterung zu einem Kunstwerk kann nie mehr sein als eine schwache Stütze, um dem Betrachter den Weg zum Bild zu weisen, denn dessen Sinn ist ausschließlich in Farbe und Form, d.h. in der Gestaltung ‚enthalten‘.

(Auszüge aus Bildkatalog 1986)

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