Aussage
von Friedrich Julius Scherff 1920 - 2012 zu seiner Arbeit. |
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Meine Malerei kreist seit ihrem Beginn um das gleiche Problem, nämlich das
intuitive Ertasten von Raum und Zeit. Ich male vom Fleck weg in die Bildfläche
hinein, experimentiere und „spiele“ bewusst mit dem Zufall. Das Bild wird
dabei von allen vier Seiten komponiert: Es wird während des Malvorgangs gedreht
und auf den Kopf gestellt, bis auf diese Weise eine von allen Seiten
ausgewogene, geschlossene Bildordnung entsteht. Aber obwohl mich das Ergebnis
meines intuitiven Arbeitens selbst immer wieder überrascht, bin ich beim Malen
hochkonzentriert. Ich kontrolliere jeden Strich genau, ob er zum Beispiel
stärker oder weniger stark gezogen, ob eine Fläche verdichtet, entgegen
gespannt oder diagonal verlagert werden soll.
Von Anfang an war mein Anliegen, ganz von der Anatomie, vom Porträt, vom
Naturalismus wegzukommen und durch ständiges Suchen, durch fortlaufende
Verwandlungen oder Metamorphosen freie, neue Formen zu finden. Das ist, wie
wenn man sich in ein Boot setzt, über das Meer fährt und überhaupt nicht weiß,
wo das andere Ufer ist. Man geht in ein Unbekanntes. Paul Klee spricht davon,
dass Kunst sichtbar mache. Ich möchte das Unbekannte, das mich bewegt, sichtbar
machen. Intuitiv kommt das ganz von selbst.
Ich komponiere ein Bild im Wesentlichen aus polaren Elementen, also aus
Gegensätzen, die Spannungsverhältnisse ergeben und die ich zu einer Einheit
bringe. Ich verbinde zum Beispiel Dynamik und Statik, indem ich eine dynamische
Bewegung (eine Linie oder eine Figur) in ein statisches, geometrisches
Raumgefüge setze. Zu einer Bewegung komponiere ich eine Gegenbewegung, zu einer
Linie eine Gegenlinie, zu Festem Diffuses, zu Schwere Leichtigkeit. Geschlossenheit
konfrontiere ich mit Offenheit, Symmetrie mit Asymmetrie, Licht mit Dunkelheit.
In den Bildern ist mir die Beziehung von Linie und Raum bzw. von Positiv-
und Negativraum besonders wichtig. Wenn ich mit einem Pinsel auf ein Blatt
Papier male, entstehen Linien, Figuren, Formen, d.h. positive Flächen, die von
negativen Flächen umgeben sind. Und auf diese Negativräume, diese negativen
Beziehungen zwischen den Linien, sollte man beim Betrachten besonders achten.
Was meine Maltechnik betrifft, so versuche ich, die Materialien, mit denen
ich arbeite, zu „provozieren“, d.h. von ihrer Struktur zu profitieren. Wenn ich
zum Beispiel mit Tusche arbeite, sprühe ich manchmal die Farbe, bevor sie ganz
getrocknet ist, mit Wasser ab. Dadurch ergeben sich lebendige Grauwerte im
Tuschestrich, die fast ein plastisches Element einführen. Das nimmt den Bezug
zur Natur auf, sieht fast wie eine getrocknete Baumwurzel oder wie Gewölk am
Himmel aus. Bei Pinselzeichnungen arbeite ich mit der breiten Struktur des
Pinselstrichs, bei Federzeichnungen verdichte ich die Formflächen mit feinen
Strichelementen. Ein Spachtel hinterlässt breite Farbspuren. Man soll dann
gerade den Spachtelstrich erkennen. Aus einem diffusen Hintergrundraum tritt so
das materialgefestigte, figurale Moment in den Vordergrund.
Naturerfahrungen, die ich in den letzten Jahren auf dem Hoherodskopf im
Vogelsberg oder auf der Nordseeinsel Juist gemacht habe, verdichten sich in
meinen Bildern bewusst träumerisch zu Raum-Farbkompositionen. Einige Bilder
sind landschaftlich vom Hoherodskopf inspiriert, wo ich oft beobachtet habe,
wie eine Nebelwand aufbricht und die Sonne herauskommt. In anderen Bildern
erinnern Ebenen an das Wattenmeer, in denen Wirbelbewegungen des Wassers im
Sand sichtbar gemacht werden. Das Wasser gräbt ja in den Sand vielfarbige
Chiffren und Zeichnungen ein. An der Nordsee hat mich auch der Strandhafer
beeindruckt, mit dem die Dünen befestigt werden und der in meinen Bildern zu
tänzerischen Figuren wird. Das ist nicht gewollt, das ergibt sich plötzlich
ganz von selbst.
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(Auszug aus Bildkatalog 1986) |
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