Aussage von
Friedrich Julius Scherff
1920 - 2012
zu seiner Arbeit.
Scherff, der Maler August 2005 (9)

Meine Malerei kreist seit ihrem Beginn um das gleiche Problem, nämlich das intuitive Ertasten von Raum und Zeit. Ich male vom Fleck weg in die Bildfläche hinein, experimentiere  und „spiele“ bewusst mit dem Zufall. Das Bild wird dabei von allen vier Seiten komponiert: Es wird während des Malvorgangs gedreht und auf den Kopf gestellt, bis auf diese Weise eine von allen Seiten ausgewogene, geschlossene Bildordnung entsteht. Aber obwohl mich das Ergebnis meines intuitiven Arbeitens selbst immer wieder überrascht, bin ich beim Malen hochkonzentriert. Ich kontrolliere jeden Strich genau, ob er zum Beispiel stärker oder weniger stark gezogen, ob eine Fläche verdichtet, entgegen gespannt oder diagonal verlagert werden soll.

Von Anfang an war mein Anliegen, ganz von der Anatomie, vom Porträt, vom Naturalismus wegzukommen und durch ständiges Suchen, durch fortlaufende Verwandlungen oder Metamorphosen freie, neue Formen zu finden. Das ist, wie wenn man sich in ein Boot setzt, über das Meer fährt und überhaupt nicht weiß, wo das andere Ufer ist. Man geht in ein Unbekanntes. Paul Klee spricht davon, dass Kunst sichtbar mache. Ich möchte das Unbekannte, das mich bewegt, sichtbar machen. Intuitiv kommt das ganz von selbst.

Ich komponiere ein Bild im Wesentlichen aus polaren Elementen, also aus Gegensätzen, die Spannungsverhältnisse ergeben und die ich zu einer Einheit bringe. Ich verbinde zum Beispiel Dynamik und Statik, indem ich eine dynamische Bewegung (eine Linie oder eine Figur) in ein statisches, geometrisches Raumgefüge setze. Zu einer Bewegung komponiere ich eine Gegenbewegung, zu einer Linie eine Gegenlinie, zu Festem Diffuses, zu Schwere Leichtigkeit. Geschlossenheit konfrontiere ich mit Offenheit, Symmetrie mit Asymmetrie, Licht mit Dunkelheit.

In den Bildern ist mir die Beziehung von Linie und Raum bzw. von Positiv- und Negativraum besonders wichtig. Wenn ich mit einem Pinsel auf ein Blatt Papier male, entstehen Linien, Figuren, Formen, d.h. positive Flächen, die von negativen Flächen umgeben sind. Und auf diese Negativräume, diese negativen Beziehungen zwischen den Linien, sollte man beim Betrachten besonders achten.

Was meine Maltechnik betrifft, so versuche ich, die Materialien, mit denen ich arbeite, zu „provozieren“, d.h. von ihrer Struktur zu profitieren. Wenn ich zum Beispiel mit Tusche arbeite, sprühe ich manchmal die Farbe, bevor sie ganz getrocknet ist, mit Wasser ab. Dadurch ergeben sich lebendige Grauwerte im Tuschestrich, die fast ein plastisches Element einführen. Das nimmt den Bezug zur Natur auf, sieht fast wie eine getrocknete Baumwurzel oder wie Gewölk am Himmel aus. Bei Pinselzeichnungen arbeite ich mit der breiten Struktur des Pinselstrichs, bei Federzeichnungen verdichte ich die Formflächen mit feinen Strichelementen. Ein Spachtel hinterlässt breite Farbspuren. Man soll dann gerade den Spachtelstrich erkennen. Aus einem diffusen Hintergrundraum tritt so das materialgefestigte, figurale Moment in den Vordergrund.

Naturerfahrungen, die ich in den letzten Jahren auf dem Hoherodskopf im Vogelsberg oder auf der Nordseeinsel Juist gemacht habe, verdichten sich in meinen Bildern bewusst träumerisch zu Raum-Farbkompositionen. Einige Bilder sind landschaftlich vom Hoherodskopf inspiriert, wo ich oft beobachtet habe, wie eine Nebelwand aufbricht und die Sonne herauskommt. In anderen Bildern erinnern Ebenen an das Wattenmeer, in denen Wirbelbewegungen des Wassers im Sand sichtbar gemacht werden. Das Wasser gräbt ja in den Sand vielfarbige Chiffren und Zeichnungen ein. An der Nordsee hat mich auch der Strandhafer beeindruckt, mit dem die Dünen befestigt werden und der in meinen Bildern zu tänzerischen Figuren wird. Das ist nicht gewollt, das ergibt sich plötzlich ganz von selbst.

(Auszug aus Bildkatalog 1986)


zurück zur Startseite